Seit circa 1991 hat sich die Individualpädagogik zu einem wichtigen, wenn auch kleinen Teil der Hilfen zur Erziehung entwickelt. Sie ist im Sozialgesetzbuch VIII (SGB) und seit der Einführung des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) im Jahr 2022 in §38 SGB VIII verankert. Hierbei werden vorrangig die sogenannten Auslandsmaßnahmen abgedeckt. Doch Individualpädagogik ist im Verständnis des Bundesverbandes längst nicht nur auf Maßnahmen über die Ländergrenzen hinaus beschränkt. Hier sieht man die Individualpädagogik als Konzept, welches in der Praxis effektiv und effizient ist und im In- und Ausland in Form von Standortmaßnahmen und Reiseprojekten angewendet wird.
Insbesondere in den letzten Jahren hat der Bundesverband verstärkt die Individualpädagogik bei Fachleuten, Politik und auch der öffentlichen Meinung in den Fokus gerückt, um den Wert dieses Hilfekonzeptes zu verdeutlichen und bei Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung zu stärken. In diesem Rahmen entstand auch die 2022 erschienene Publikation „Grenzen Los Erziehen. Erfolgreiche Jugendhilfe in Europa“. Was geblieben ist, ist die Frage: „Was ist eigentlich Individualpädagogik?“ Denn eine Definition gab es bisher nicht. Auch die Abgrenzung zu ähnlichen Konzepten blieb damit schwer.
Diese Lücke wurde nun geschlossen. In einem mehrmonatigen Prozess haben der Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. mit seinen Vorständen im Fachbereich „Hilfen zur Erziehung“ gemeinsam mit Prof. Dr. Michael Macsenaere und Joachim Klein vom Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) eine Definition von Individualpädagogik erarbeitet:
„Individualpädagogik ist ein pädagogischer Ansatz mit ausgeprägtem Fokus auf das einzelne Individuum. Individualpädagogik kann sich an jeden Menschen richten und in allen pädagogischen Arbeitsfeldern zum Einsatz kommen. In besonderem Maße erprobt ist sie bei herausfordernden Ausgangslagen im Bereich der Hilfen zur Erziehung. Individualpädagogik ist gekennzeichnet durch spezifische pädagogische Leitlinien und Haltungen (s. u.) bzw. spezifische Struktur- und Prozessmerkmale (s. u.). Die Kombination dieser Charakteristika führt bei Hilfen zur Erziehung nachweislich zu hoher Effektivität und Effizienz von Individualpädagogik (Macsenaere, 2018) sowie zu einer ausgeprägten Nachhaltigkeit (Klein & Macsenaere, 2015).“ » Weiterlesen
Über diese kurze Definition hinaus, wurden pädagogische Leitlinien und Haltungen sowie zentrale pädagogische Struktur- und Prozessmerkmale von Individualpädagogik beschrieben: Individualität, Wertschätzung, Bindungsorientierung, Ressourcenorientierung, Passgenauigkeit, Partizipation – um nur einige Stichworte davon zu nennen.
Die Definition legt einen Grundstein für die theoretische Verankerung der Individualpädagogik. Sie öffnet die Möglichkeit für weitere Forschungen und unterstützt die fachliche Etablierung im Rahmen der Angebote der Hilfen zur Erziehung. Aus Sicht des Bundesverbandes ist die Individualpädagogik eine wirkungs- und sinnvolle Hilfe, die sich am individuellen Bedarf eines Menschen orientiert und oft da ansetzt, wo andere Hilfeformen nicht effektiv waren oder einfach nicht passgenau. Im Sinne des Ziels „Kein Kind zurücklassen“ hat die Individualpädagogik ihre Berechtigung und wird sich weiter professionalisieren und etablieren.
Zum Weiterlesen:
» Definition Individualpädagogik
» H. Lorenz / M.Brendt: Grenzen Los Erziehen. Erfolgreiche Jugendhilfe in Europa (auch in englischer Sprache verfügbar), Link
» M.Macsenaere / J.Dreger: Damit individualpädagogik bleibt! Über die Professioanlisierung im Bereich der Hilfen zur Erziehung. In: e&l - erleben und lernen, Heft 01/2023, Link
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