Erlebnispädagogik ist mehr als eine Methode. Sie kann zur Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen wesentlich beitragen und zur aktiven Teilhabe und verantwortlichen Gestaltung der eigenen Lebenswelt und der Gesellschaft anregen. Um auf dieses "Mehr" der Erlebnispädaogik hinzuweisen, hat der Fachbereich Aus- und Weiterbildung im Bundesverband ein Positionspapier entwickelt. Hier der Wortlaut:
Die eigene Lebenswelt verantwortlich zu gestalten ist ein wichtiges pädagogisches Ziel. Das bedeutet, Verantwortung für sich selbst, für andere und für die Gesellschaft zu übernehmen, Mitwirkung zu gestalten, Engagement zu üben und zu leisten – eben politisch zu sein. In der Erlebnispädagogik wird durch herausfordernde Aktivitäten in der Natur, lokale Projekte und durch den Dienst am Nächsten Verantwortung erlebt und erlernt.
Mit diesem Positionspapier möchten wir zum einen Erlebnispädagog*innen anregen, sich der Wirkmacht der eigenen Haltung bzw. Ausrichtung des pädagogischen Handelns bewusst zu werden und dies regelmäßig zu reflektieren. Zum anderen ist es unser Anliegen, die Auftraggeber*innen erlebnispädagogischer Angebote, wie z.B. Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen, Personalverantwortliche, für dieses identitätsstiftende, gesellschaftspolitische „Mehr" der Erlebnispädagogik zu sensibilisieren.
Gesellschaftspolitisches Wirkungsfeld
Erlebnispädagog*innen betrachten es als ihre Aufgabe, sich auch gesellschaftspolitisch einzumischen. Sie machen sich selbst und anderen Mut, selbst zu denken, Verantwortung zu übernehmen und auf der Grundlage eines humanistischen Welt- und Menschenbildes initiativ zu werden.
Die Erlebnispädagogik gewinnt vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftspolitischer Themen immer weiter an Relevanz. Beispiele für diese Themen sind: Demokratie und Frieden, Chancengleichheit und Gerechtigkeit, Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit, Diversität und Teilhabe, Gesundheit und Resilienz, Digitalisierung und Medienkompetenz versus unmittelbares Erleben, Bildung sowie Freiheit und Selbstbestimmung.
Hierbei treffen wir keine Auswahl und Priorisierung, weil alle Themen den Alltag und die Lebenswirklichkeit von Teilnehmer*innen in unterschiedlichen Intensitäten wiedergeben.
Wir begegnen ihnen in erlebnispädagogischen Programmen und Ausbildungen, wobei Erlebnispädagog*innen und Anbieter den Gegebenheiten entsprechende Schwerpunkte setzen (z.B. in Bezug auf Person, Beruf, Institution, Zielgruppe, Auftrag).
Erlebnispädagogik ist nicht allein Methode, sondern kann und muss mehr sein. Sie ist als Pädagogik nicht losgelöst von Werten und Haltungen, die dem Menschen dienen und seiner Umwelt förderlich sind, zu betrachten. Andernfalls besteht die Gefahr, von Ideologien und destruktiven Strömungen vereinnahmt zu werden.
Gestaltungskompetenz
Erlebnispädagog*innen arbeiten mit einem pädagogischen Konzept, prozess- und zielorientiert, bevorzugt in der Natur oder dem naturnahen Raum sowie vorrangig an der Förderung der Selbst- und Sozialkompetenze und damit letztlich an der Handlungskompetenz. Unsere Programme und Ausbildungen können zudem gesellschaftspolitische Themen handlungsorientiert thematisieren. Damit möchten wir Teilnehmende zur aktiven Teilhabe und verantwortlichen Gestaltung im Sinne einer weltoffenen, solidarischen, ökologischen und nachhaltigen Gesellschaft ermutigen. Anbietende möchten wir sensibilisieren, Programme dahingehend auszurichten, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in ihren Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales vertieft wird.
Dies beinhaltet die Chance, bei Teilnehmenden die Weiterentwicklung der individuellen Handlungskompetenz hin zu einer Gestaltungskompetenz zu fördern (eines der Ziele der BNE. Dabei umfasst „Gestaltungskompetenz (…) Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Voraussetzung sind für Veränderungen. Nicht die Reaktion auf vorhandene Problemlagen allein, sondern die Fähigkeit, Neues zu denken und zu schaffen, ist Ziel. Damit lenkt Gestaltungskompetenz unseren Blick in die Zukunft."
Gerhard de Haan onkretisiert die Gestaltungskompetenz anhand von Teilkompetenzen:
Sach- und Methodenkompetenz:
- Weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen.
- Vorausschauend denken und handeln.
- Interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen.
- Risiken, Gefahren und Unsicherheiten erkennen und abwägen können.
Sozialkompetenz:
- Gemeinsam mit anderen planen und handeln können.
- An Entscheidungsprozessen partizipieren können.
- Sich und andere motivieren können, aktiv zu werden.
- Zielkonflikte bei der Reflexion über Handlungsstrategien berücksichtigen können.
Selbstkompetenz:
- Eigene und andere Leitbilder reflektieren können.
- Selbstständig planen und handeln können.
- Empathie und Solidarität für Benachteiligte zeigen können.
- Vorstellungen von Gerechtigkeit als Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen nutzen können.
Diese Auflistung der Teilkompetenzen macht deutlich, dass es bei der Gestaltungskompetenz um eine Erweiterung von individueller Handlungskompetenz geht, indem sie auf die Zukunft sowie globales Denken und Handeln ausgerichtet ist.
Besonderer Beitrag der Erlebnispädagogik
Eine der Stärken der Erlebnispädagogik ist es, die Gestaltungskompetenz mit handlungsorientierten Methoden und Lernszenarien zu entwickeln und zu fördern. Daraus entsteht für uns als Erlebnispädagog*innen der Auftrag, zu diesen Themen eine Haltung zu entwickeln und aktiv zu werden. Die Erlebnispädagogik leistet hierzu mit ihrer Zielsetzung, ihren Prinzipien und ihrem methodischen Ansatz einen wichtigen Beitrag:
- Erlebnispädagogische Angebote sind prozessorientiert. Sie unterscheiden sich von Angeboten in curricularen Strukturen und müssen diese ergänzen.
- Ihr Prinzip der Handlungsorientierung fördert aktives Handeln in Ergänzung zu Wissensvermittlung, abstrakter Belehrung oder vorschneller Moralisierung.
- Die spezifischen Lernarrangements unterstützen unmittelbares Erleben und betonen damit die Bedeutung der emotionalen Verankerung allen Wissens als Impuls für die Bereitschaft zu handeln.
- Ihre charakteristischen Outdoor-Aktivitäten können Menschen aus einer sekundären Medienwelt in reale Lebensräume führen. Sie bietet Einblicke in die sich rasant verändernden Lebensbedingungen des fortschreitenden Zivilisationsprozesses sowie
in die Eingriffe des Menschen in die Natur, welche die eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören drohen.
Wir erkennen die Aktualität und die Herausforderungen gesellschaftspolitischer Themen
in einer beschleunigten, modernisierten Gesellschaft und die Notwendigkeit, sich ihrer anzunehmen. Diese Themen haben einen Einfluss auf unsere Haltung, die stets aufs Neue überprüft werden muss.
Daraus ergibt sich für uns die Notwendigkeit, aktiv zu werden und das eigene pädagogische Handeln anzupassen:
- Im Sinne der Anbahnung eines Transfers in erlebnispädagogischen Programmen und Ausbildungen können Teilnehmende und Betreuende als Botschafter*innen fungieren.
- Wir möchten Auftraggeber*innen darin bestärken, bei der Auswahl von Programmen für beispielsweise Klassenfahrten gezielt nach gesellschaftspolitischen Inhalten zu fragen, die die genannten Themen aufgreifen.
Resümee
Gemeinschaftliches, demokratisches und solidarisches Handeln ist heute mehr denn je gefragt – Fähigkeiten, die sich in erlebnispädagogischen Projekten in besonderer Weise entwickeln können. Sich einzumischen in den gesellschaftlichen Prozess und gesellschaftspolitisches Handeln haben in der Erlebnispädagogik – wie etwa in der Konzeption einer „Erziehung zur Verantwortung“ von Kurt Hahn – eine lange Tradition. Sie gilt es in den Problemfeldern der Gegenwart wieder zu realisieren.
Erlebnispädagogische Angebote leisten einen Beitrag zur Entwicklung von Gestaltungskompetenz. Bestehende Programme und Ausbildungen müssen deshalb hinsichtlich ihres gesellschaftspolitischen Gehalts überprüft und aufgewertet werden.
Der Austausch über bestehende, gelungene Praxisbeispiele soll intensiviert werden.
Die Entwicklung neuer Formate kann angeregt werden.
» Das Positionspapier samt Literaturangaben und Hinweisen ist hier abrufbar:Positionspapier zur gesellschaftspolitischen Dimension der Erlebnispädagogik
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