Die Entwicklungen durch die Corona Krise sind für alle dramatisch. Das erfährt die gesamte Branche des Kinder- und Jugendreisens in einem ganz frühen Stadium – und zudem besonders schmerzhaft. Die Kultusministerien der Länder haben Schul- und Klassenfahrten unterbunden. Das ist unstrittig der absolut richtige Schritt im Maßnahmenplan zur Bekämpfung der Virus-Ausbreitung. Damit aber sind alle Organisationen rund um die Klassenfahrt bis mindestens zur Mitte des Jahres ohne jeden Auftrag.
Bei den Jugendreise-Verbänden gilt als sicher, dass nur wenige Schulfahrten-Veranstalter, Programmanbieter und Jugendunterkünfte diese Krise überleben werden. Zum Verständnis bedarf die Spezifika dieses besonderen Bereichs im Reisesegment der Erklärung:
- Klassenfahrten finden zumeist in den Monaten April bis Juni und im September bis Oktober statt. Teilweise, je nach Region, auch noch im Juli oder August. Durch die Absagen praktisch aller Schulfahrten im ersten Halbjahr 2020 ist schon jetzt Realität, dass mindestens 50% der Fahrten in diesem Jahr nicht stattfinden werden. Die bei den Betroffenen noch vorhandene Liquidität, die sich mit Fortlauf des Jahres im Normalfall natürlich erhöht, wird schon jetzt sehr kurzfristig komplett aufgebraucht sein, ohne das ein Zufluss erfolgt.
Viele Anbieter sind gemeinnützig organisiert und arbeiten naturgemäß durchweg mit nur marginalen Erträgen. Rücklagen sind, der Gemeinnützigkeit geschuldet, kaum vorgesehen. Hilfskredite können für diesen Bereich kaum abgerufen werden, allein schon, weil die dafür vorgesehenen Bonitätsprüfungen ins Leere laufen und die Anbieter eingegangene Kreditverpflichtungen überhaupt gar nicht bedienen könnten. - Die meisten Unterkünfte und Veranstalter haben für ihre spezielle Zielgruppe, nämlich Schulen und Lehrer*innen, sehr entgegenkommende Stornierungs- und Zahlungsbedingungen vorgesehen, um die Risiken und eventuelle Belastungen für Lehrer*innen, die als Anmelder der Klassenfahrt Verantwortung und oft auch finanzielle Risiken zu tragen haben, für den (normalerweise äußerst seltenen!) Fall einer Stornierung zu entlasten. So sind die vertraglich vereinbarten Stornobedingungen für Klassenfahrten meist über alle Maßen gering gestaltet. In den üblicherweise sehr wenigen Stornofällen ist diese Entlastung für den oder die einzelnen, verantwortlichen Lehrer*innen eine Erleichterung, führen in der jetzigen Situation, mit massenhaften Stornierungen, für die Anbieter und Unterkünfte aber in die Katastrophe.
- Der Anbietermarkt der professionellen Schulfahrtenveranstalter besteht einerseits aus wenigen großen Anbietern, welche eventuell Hilfs-Kredite beanspruchen können oder über Rücklagen verfügen. Ein Großteil jedoch sind andererseits kleine und sehr kleine Strukturen, mit geringer Personalausstattung und - insbesondere im gemeinnützigen Bereich – ohne Rücklagen. Kinder und Jugendunterkünfte sind oft in ländlichen Regionen angesiedelt und sorgen dort für Arbeitsplätze, wo sonst wenig Arbeit zu finden ist. Noch dazu sind diese Arbeitsplätze oft im niedrig qualifizierten Bereich; der Anteil an Frauen unter den Mitarbeitenden ist insbesondere in Jugendunterkünften überproportional hoch. Einer vielbeachteten Studie des BMWi (2016) folgend sind insgesamt ca. 240.000 Menschen vom Kinder- und Jugendbereich abhängig.
- Im Vorgriff auf eine derzeit noch offene, weitere Entwicklung der Krise wurden oftmals pauschal Klassenfahrten bis zum Ende des Schuljahres abgesagt. Dabei erfolgte keine „behördliche Schließung“ von z. B. Unterkünften, was gänzlich andere Vorzeichen geschaffen hätte. Denn die Inanspruchnahme von Betriebsschließungsversicherungen oder der Zugang zu Entschädigungen auf Grundlage der Regelungen im Infektionsschutzgesetz bleiben verwehrt.
Die Zahlen sind mehr als bedrohlich: der Einschätzung der Verbände zufolge werden nach der Krise nur noch 1/3 der Anbieter existieren. Dann werden anstatt der bisher etwa zwei Millionen Schülerinnen und Schüler, die in Deutschland jedes Jahr auf mehrtägige Klassenfahrt gehen deren Lehrerinnen und Lehrer trotz verzweifelter Anstrengungen für rund 800.000 Kinder keine Klassenfahrt mehr finden. Weil Unterkünfte, Programmanbieter, Erlebnispädagogen, Klettergärten und vieles mehr und nicht zuletzt die für eine sichere und gute Organisation oft nötigen Schulfahrtenveranstalter ganz einfach nicht mehr geben wird. Diese Verknappung wird besonders einkommensschwachen Familien die Teilhabe erschweren, weil gleichzeitig dramatische Preiserhöhungen Realität wären. Eine Erholung der Anbieterseite und damit eine Entspannung der Situation würde, wenn jetzt nicht reagiert wird, Jahre dauern.
Deshalb unsere Forderungen
an Eltern, Lehrer*innen, Schulleiter*innen, Schulträger, Schulaufsichtsbehörden und an die Kultusministerien der Bundesländer:
- Wir verstehen die Absagen bis Ende des Schuljahres. Bitte akzeptieren Sie Stornogebühren der Schulfahrtenveranstalter, der Unterkünfte und Programmanbieter von mindestens 30 bis 50% der ursprünglichen Reisepreise, damit die wirklichen Ausfallkosten bezahlt werden.
- Bitte nehmen Sie als für das Schulwesen zuständige Bezirks- bzw. Landesbehörde den Schulen die Last der Stornierungskosten ab und erstatten Sie diese an die Schulen bzw. Eltern. Anweisungen, dass Stornokosten von den Schulen nicht übernommen werden sollen und die Länder keine Zahlungen übernehmen, sind fatal.
- Bitte tragen Sie alle mit, dass Klassenfahrten, wenn möglich, nicht storniert, sondern auf einen anderen Reisezeitraum verlegt werden.
- Übernehmen Sie auch Stornogebühren in den Zeiträumen der deutschland-, europa- und weltweiten Reisewarnungen. Denn diese fallen in den März und April und haben somit bereits jetzt einen großen Schaden an der Infrastruktur des Klassenfahrtensektors hinterlassen, da laut Reiserecht, Reisen wegen fehlender Geschäftsgrundlage KOSTENLOS storniert werden müssten.
- Bitte sehen Sie davon ab, wie in einigen Regionen geschehen, dass auch Klassenreisen nach den Sommerferien gestrichen werden.
- Die Preise für künftige Klassenfahrten werden steigen müssen. Die in den Schulfahrtenverordnungen der Länder bzw. in Fahrtenkonzepten der Schulen genannten Budgets von derzeit meist 250,- oder 300,- € müssen angepasst werden.
Wichtig wäre im Moment als Sofortmaßnahme, dass Stornokosten erhoben und bezahlt werden. Die Beträge sind für die einzelnen Eltern überschaubar; im Übrigen ist das Budget dafür (selbst bei sozial benachteiligten Eltern, für deren Kinder die Finanzierung der Fahrt durch Sozialämter oder Arbeitsagentur übernommen wurde), bei den Eltern ja zweifelsfrei vorhanden.
Mit der Begleichung angemessener Stornokosten kann jeder Einzelne mit seinem überschaubaren und ja unstrittig vorhandenen (das Geld für die Klassenfahrt war ja eingeplant!) finanziellen Beitrag zum Erhalt einer gesamten Branche maßgeblich beitragen. Wir hoffen, mit und für die Mitglieder unseres Verbandes, gemeinsam diese für alle Akteure rund um die Klassenfahrten existenzbedrohende Krise bewältigen zu können. Die solidarische Mitwirkung von Eltern, Schulen und Lehrerschaft, der Schulträger, Schulaufsichtsbehörden und der Ministerien der Länder ist dafür zwingend nötig. Klassenfahrten, wie Generationen von Schülerinnen und Schülern sie kannten, mit ihren vielfältigen, wichtigen Aspekten für die Entwicklung und das Erfahren am außerschulischen Lernort, wird es sonst nach Corona nicht mehr geben.
Wir danken allen Beteiligten für die erforderliche Unterstützung und bleiben zuversichtlich!
Quelle: Reisenetz - Deutscher Fachverband für Jugendreisen e.V. - Mit einem Dank an die Kolleg*innen vom Reisenetz e.V. darf dieser Brief geteilt werden, www.reisenetz.org
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